Gefängnisbrief #2: «Die ethnische Justiz Spaniens»

Nein, ich habe die Begriffe nicht verwechselt, ich meine «ethnisch», nicht «ethisch». Ethik ist im spanischen Staat weder in der Politik noch in der Justiz auszumachen. Gerade wird die Bildungsreform Lomce durchgesetzt, die den Ethikunterricht streichen und die religiöse Erziehung ausbauen will.

Mit dem folgenden Beispiel möchte ich aufzeigen, wie die spanische Justiz je nach ethnischer Identität von verurteilten Personen unterschiedlich agiert. Es geht um zwei Personen, die beide im Baskenland geboren wurden. Auf der einen Seite ist da Iñaki Urdangarin, geboren in Goierri, er hat eine spanische Identität. Auf der anderen Seite bin ich, Nekane Txapartegi Nieve, geboren in Tosaldea, ich identifiziere mich als baskische Frau. Aktuell halten wir uns beide in der Schweiz auf. Ich bin bekanntlich in Zürich in Auslieferungshaft, Iñaki wohnt zusammen mit seiner Frau Cristina, der Tochter des früheren Königs Juan Carlos I. am Genfersee. Wir beide wurden von der spanischen Justiz verurteilt, aber die Auswirkungen davon könnten unterschiedlicher nicht sein.

Ich wehre mich zusammen mit vielen anderen Bask*innen gegen die Kolonisierung des Baskenlandes und die Repression durch den spanischen und französischen Staat. Ich wurde aus diesem Grunde verhaftet und in den spanischen Kerkern gefoltert und vergewaltigt. Iñaki dagegen, der sich entschied, Freund von den franquistischen Erben zu sein, wurde der rote Teppich bis zum Palast der Bourbonischen Monarchie ausgerollt. Er heiratete eine Tochter des Königs, der notabene von Diktator Franco als Nachfolger auserkoren wurde. Mein ganzes Leben wehrte ich mich gegen die Ungerechtigkeit, die ich als weibliche, baskische Arbeiterin in den Folterkellern erlebt habe. Ich kämpfe für die Freiheit meines Landes, während Iñaki seinen üppigen Lebensunterhalt mit der Spekulation darüber verdiente. Über uns beide wurde von der Audiencia Nacional ein Urteil verhängt, aber mit zweierlei Mass.

Ich wurde als Baskin in einem politischen Prozess verurteilt. Einziger Beweis im Prozess: Aussagen, die ich unter Folter während der fünftägigen Incomunicado-Haft in den Händen der Guardia Civil ablegte. Ich wiederrief die erfolterten Aussagen sofort. Während des Gerichtsprozesses erkannte und benannte ich mehrere meiner Folterer und Vergewaltiger, aber das Gericht interessierte sich nicht dafür. Gegen die Folterer wurde nicht ermittelt. Das Ziel war es einzig und allein, meine baskische politische Dissidenz zu bestrafen und ein Exempel zu statuieren. Nachdem ich zu 11 Jahren Haft verurteilt wurde (später wurde das Urteil auf 3 Jahre und 6 Monate reduziert) flüchtete ich. Auf keinen Fall wollte ich in die Hände meiner Peiniger zurückkehren. Nach mehreren Jahren im Exil zusammen mit meiner Tochter wurde ich in Zürich erneut verhaftet. Diese Verhaftung kam nur zustande, weil die spanische Polizei ein Jahr lang illegal auf Schweizer Boden nach mir gefahndet hat. Die Schweizer Behörden interessieren sich jedoch nicht für die Aufklärung dieser illegalen Aktivitäten in ihrem Territorium. Während vielen Monaten muss ich die harten Bedingungen der Schweizer Auslieferungshaft nun schon über mich ergehen lassen. Die Beamte, die mich im Asylverfahren befragt hat, scheint ein grosser Fan des spanischen Staates zu sein. Für sie ist alles legitim, was die Folterer machen und die spanischen Gerichte entscheiden. Die Verfolgung, die ich als Baskin erleide, die gut dokumentierte Folter und die sexualisierte Gewalt, die ich als Frau erlitten habe, das politisch motivierte und unverhältnismässige Urteil gegen mich – all dies scheint ihr keine angemessene Begründung für politisches Asyl zu sein.

Gleichzeitig wurde Iñaki von der Audiencia Nacional wegen Korruption zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Aber Iñaki hat keine Angst, eingeknastet zu werden, er muss nicht flüchten, da die spanische Justiz seine ethnische Identität nicht verfolgt. So lebt Iñaki aktuell in einer Villa am Genfersee, sein Bankkonto ist voll und er hat keinerlei Angst, ausgeliefert zu werden. Man kann die Zukunft nicht voraussagen, aber ich behaupte jetzt mal, dass der spanische Staat die Auslieferung von Iñaki nicht anfordern wird. Auch nicht, wenn das Oberste Gericht ein endgültiges Urteil gesprochen hat.


Nekanes Gefängnisbriefe:

«Ich nehme euren Vorschlag gerne an und schicke euch gleich ein paar Beiträge mit, denn die Post funktioniert nach Lust und Laune der Schliesser und alles dauert ziemlich lange.» So antwortete uns die inhaftierte Genossin Nekane Txapartegi in einem Brief, nachdem wir sie angefragt hatten, ob sie für das ajour magazin gelegentlich eine Kolumne schreiben würde. Die Möglichkeit einen Text auf Papier zu bringen und insbesondere diesen nach draussen zu versenden, wird Inhaftierten systematisch erschwert. So gewährte man Nekane erst nach einem Jahr Haft endlich Zugang zu einem Computer. Auch das Ausdrucken von Textdateien ist eine aufwendige bürokratische Prozedur; eine «absurde Bürokratie, um uns jegliche Autonomie zu rauben», so Nekane. Umso mehr freut es uns, nun endlich den ersten übersetzten Artikel unserer baskischen Freundin, der revolutionären Feministin, Aktivistin und Journalistin Nekane Txapartegi veröffentlichen zu können. Use mit de Gfangene! (Die Redaktion)