In regelmässigen Abständen ist es Zeit für einen #Aufschrei, für ein #NotOkay oder eine Erklärung für #Whyisaidnothing. Kürzlich wurde der Hashtag #MeToo ins Leben gerufen. Und auf einmal bezeichnen sich tausende Menschen als Feminist*innen, eine Bewegung scheint ins Rollen zu kommen und den Weg in eine Gesellschaft ohne Sexismus zu ebnen. Weshalb ändert sich trotzdem nicht viel?
«Sie könnten ein Dirndl auch ausfüllen», meinte der deutsche FDP-Spitzenkandidat Rainer Brüderle 2013 zur Stern-Journalistin Laura Himmelreich. Himmelreich wollte ihn zu seiner bevorstehenden Kandidatur interviewen, Brüderle wollte ihr Alter und ihre Herkunft wissen. Himmelreich wollte über Politik reden, Brüderle machte Kommentare über ihre Brüste. Dass sein harmloser «Herrenwitz» eine solche Welle an (negativen wie auch positiven) Reaktionen auslösen konnte, kam für ihn natürlich völlig überraschend. Der Hashtag #Aufschrei 2013 von Anne Wizorek, einer feministischen Bloggerin und Aktivistin, sollte ein wenig Licht ins Dunkel bringen.
@vonhorst wir sollten diese erfahrungen unter einem hashtag sammeln. ich schlage #aufschrei vor.
— anne wizorek ? (@marthadear) 24. Januar 2013
In rund 60’000 Tweets in ca. 2 Wochen nutzten Frauen* die Plattform, um darüber zu berichten. Über die Hand des Kollegen, die plötzlich im Schritt landet. Über den Arzt, der bei einer Magenverstimmung die Brüste inspiziert. Über den Bademeister der Anweisungen gibt, wie man sich «da unten» richtig waschen soll. Das USA-Pendant #YesAllWomen hatte die selbe Intention. Er wurde als Reaktion auf den Hashtag #notallmen kreiert, mit dem sich Männer von einem antifeministischen Terroranschlag (offiziell «Amoklauf») in Kalifornien distanzierten. Der Student Elliot Rodger begründete den Mord an sechs Menschen damit, dass keine Frau mit ihm schlafen wolle. Und Donald Trump lieferte schliesslich die Vorlage für #NotOkay und #ThePussyGrabsBack.
Ähnliches geschah in der Schweiz. Im Oktober 2016 sagte die SVP-Politikerin und Polizistin Andrea Geissbühler in einem Interview mit «Telebärn», dass Frauen, die irgendwelche fremden Männer mit nach Hause nähmen und dann doch «nicht wollen», sich auch ein bisschen mitschuldig machen an ihrer Vergewaltigung. Und fast musterhaft nahm die Debatte einen ähnlichen Lauf wie bei ihren ausländischen Pendants: Die Empörung über den sexistischen Skandal war erst gross und der Hashtag #SchweizerAufschrei wurde ins Leben gerufen. Dieser bot tatsächlich Platz für Frauen*, ihre Erfahrungen zu teilen und sich zu solidarisieren. Das war auch die Intention des Hashtags #metoo. Die Schauspielerin Alyssa Milano reagierte damit am 15. Oktober 2017 auf den Skandal, dass der Hollywood-Mogul Harvey Weinstein seine Position als einflussreicher Produzent jahrelang für sexuelle Übergriffe auf zahlreiche Frauen ausnutzte. Schnell ging #metoo um die Welt.
If you’ve been sexually harassed or assaulted write ‘me too’ as a reply to this tweet. pic.twitter.com/k2oeCiUf9n
— Alyssa Milano (@Alyssa_Milano) 15. Oktober 2017
Lautstarke Verwirrung
Doch schon bald darauf folgte die grosse Verwirrung. Alle mussten sich irgendwie dazu verhalten und schnell trauten sich auch die Männer*, das Wort zu ergreifen. Sie fragten, ob sie denn gar nichts mehr dürften, (als ob Grenzüberschreitungen für die Opfer je ok waren), betonten, dass «Sexismus imfall auch Männer betrifft» und erzählten, dass ihnen in der Bar auch schonmal an den Arsch gefasst wurde, sie das aber als Kompliment verstanden hätten. Aber vor allem waren die armen Männer* verunsichert. Bin ich etwa auch ein Sexist? Wie soll ich mich nun Frauen* gegenüber verhalten?
Und schon ist die Diskussion wieder durch die Frage vereinnahmt, wie sich Männer* bei der ganzen Sache fühlen. Dabei sind es natürlich die Frauen*, die den Männern* all die schwierigen Fragen erklären und Rede und Antwort stehen müssen. Eigentlich dürfte es ja nicht so schwierig sein. Soziale Interaktionen, sei das in der Bahn, in der Bar oder im Bett, sollten doch auf Empathie und Konsens beruhen. Interpretierst du auf der Clubtoilette das Schweigen einer betrunkenen Freundin als ein «Ich will jetzt unbedingt Sex mit dir!», dann bist du wahrscheinlich ein Arsch und sicher nicht ein durch die Emanzen verwirrtes Opfer. Nein, oftmals ist es nicht so schwierig und fragen schadet ja nicht. Und ja, Komplimente sind nach wie vor etwas Wunderschönes, wenn sie nicht mit Subtext und einer implizierten Aufforderung gemacht werden. Leider scheinen das viele verlernt zu haben.
#mentoo ist Teil des Problems
Besonders perfid ist die Thematisierung von sexualisierten Übergriffen gegen Männer*. Niemand – und schon gar nicht Feministinnen – will sie verharmlosen oder ignorieren. Aber Sexismus ist nunmal die gesellschaftliche Systematik, die Frauen* viel öfters und viel stärker unter Vorurteilen aufgrund von Gender leiden lässt. Männer* sind (Patriarchat sei Dank!) öfter in Machtpositionen als Frauen*. Und diese Machtposition befähigen halt eben auch dazu, diese für die eigene sexuelle Befriedigung zu missbrauchen.
Es fällt doch vor allem eines auf: Just in dem Moment, in dem Frauen* sich den Raum nehmen, ihre Gewalt- und Diskriminierungserfahrungen zu teilen und eine gesellschaftliche Diskussion darüber einfordern, wollen Männer* (und leider auch Frauen*) auf einmal über sexualisierte Gewalt an Männern* sprechen. Damit wird nicht nur relativiert, dass es in dieser Gesellschaft eine systematische Benachteiligung von Frauen* (Sexismus) gibt, sondern es wird Frauen* der eben gewonnene Einfluss auf den öffentlichen Diskurs streitig gemacht. In diesem Sinne werden Hashtags wie #mentoo dann selbst zum Teil des Problems.
Porno schauen mit der SVP
Neben den Verwirrten und Verzweifelten, lässt auch der gehässige Antifeminismus nicht lange auf sich warten. So lässt uns beispielsweise SVP-Kantonsrat Claudio Schmid an seinem Expertenwissen teilhaben: «Von allen Frauen, die die #metoo-Kampagne mitmachen, hat wohl keine so viele Beiträge auf Youporn wie Alyssa Milano.» twitterte er.
Fast schon exemplarisch bedient Schmid hier das Hurenstigma: Mit der Bemerkung, Alyssa Milano als Pornodarstellerin identifiziert zu haben, spricht er ihren Aussagen somit Glaubwürdigkeit und Gewicht ab. Er suggeriert damit, dass eine Pornodarstellerin kein Recht auf ihren eigenen Körper und auf Unversehrtheit hat. Dabei geht es niemanden auch nur das Geringste an, was eine Frau* einvernehmlich macht (ob beruflich oder nicht). Die Gegenüberstellung von «Hure oder Heilige» ist ein altes und immer noch wirkmächtiges Modell, um Frauen* zu degradieren. Und hätte Schmid seine Recherchen auf YouPorn gründlicher gemacht, hätte er auch gemerkt, dass die besagten Aufnahmen aus dem 1995 veröffentlichten Horrorfilm «Embrace of the Vampire» stammen und nicht aus einem Porno. Aber darum geht es nicht.
Ich weiss nicht wie darauf reagieren, you tell me? pic.twitter.com/T0XHsqn4zp
— Gülsha (@guelshaaa) 17. Oktober 2017
Es geht darum, dass man sich als Frau* bitteschön nicht erklären lassen muss, wie denn Sexismus zu verstehen ist. Es geht darum, dass Männer* wie Schmid vom Kern der Diskussion (und sich selber!) ablenken, wenn sie die Diskussion mit eigenen Themen vereinnahmen. Und es geht auch darum, sich in der Diskussion solidarisch und nicht wie ein Arsch zu verhalten. Denn auch Teil des Problems sind alle diejenigen, die schweigen und zusehen, selbst wenn sie nicht direkt betroffen sind. Denn es ist relevant, welche Normalitäten wir kreieren, welche Stimmung wir schaffen. Schliesslich werden übergriffige Menschen durch ein Klima ermutigt, das Sexismus und sexualisierte Gewalt zulässt und reproduziert.
Sozialer Ablasshandel und Karma
Social Media ist gerade im Rahmen solcher Debatten ganz praktisch. Ein paar Klicks und ich bezeichne mich gemütlich von der Couch aus als Feminist*in, unterstütze meine Kolleg*innen im feministischen Kampf und verurteile Übergriffe aufs Schärfste. Sich an der Diskussion beteiligen zu können macht sich sowohl auf der eigenen Facebook-Wall, als auch fürs moralische Gewissen sehr gut. Egal, ob die Äusserungen von echter Solidarität zeugen oder nicht: Man bekommt das Gefühl, «was getan» zu haben. Doch dann? Wie weit reicht das emanzipatorische Moment? Bis zum nächsten Hashtag oder werde ich dazwischen wieder zum*zur Sexist*in, wenn der Like zum Feminismus-Post auf meiner Facebook-Wall nach unten gerutscht ist?
Dass soziale Medien so gut funktionieren, hat wohl auch damit zu tun, dass der direkte zwischenmenschliche Kontakt ausgespart und auf eine Virtualität verlagert wird. Dort habe ich die Kontrolle darüber, was mein Name ist, wie mein Profilbild aussieht und wie unmittelbar ich auf einen Input reagieren will. Und das ist nicht nur negativ gemeint, hat halt einfach eine andere Qualität als die direkte, zwischenmenschliche Erfahrung. Leider fällt es höchstwahrscheinlich jedem*jeder leichter, einen Like unter einen #metoo-Post zu setzen, als dann wirklich zu intervenieren, wenn eine sexistische Situation im eigenen Umfeld passiert. Da bringt es leider wenig, wenn ich mich im Netz Feminist*in nenne.
.@Alyssa_Milano says Tarana Burke and the #MeToo movement enabled us «to put the focus back on the victims» https://t.co/RyTV7LUTlV pic.twitter.com/xwD4UZuc8E
— Good Morning America (@GMA) 19. Oktober 2017
Alyssa Milano erklärt #metoo
Was lernen wir aus der Debatte?
Die naheliegende Schlussfolgerung lautet: Hat ein emanzipatorischer Social-Media Diskurs keine Weiterführung in meinem Alltag, bleibt er folgenlos. Deswegen müssen wir dafür sorgen, dass die Erkenntnis und Sensibilisierung, die wir über die Sichtbarmachung der abertausenden sexuellen Übergriffen erfahren haben, in unserem Alltag ankommt. Dass es nicht beim «Ah, du auch?» stehen bleibt, sondern in konkreten Handlungen im Alltag mündet. Denn Sexismus zeigt sich nicht «nur» in isolierten, übergriffigen Situationen, sondern in vielen weiteren Lebensbereichen. Schliesslich haben wir die patriarchale Gesellschaftsstruktur noch nicht überwunden und müssen uns deshalb damit auseinandersetzen, dass das Patriarchat unser ganzes Leben durchzieht. Und das Patriarchat werden wir nicht überwunden haben, wenn wir lediglich den Lohngap zwischen Mann und Frau schliessen.
Ein Hashtag wie #metoo bietet die Möglichkeit, dass Frauen* sich solidarisieren und sich Raum nehmen können. Und diesen Raum müssen wir verteidigen. Wenn wir uns ständig mit Relativierungen und Antifeminismus rumschlagen müssen, lenkt das von dem ab, worum es eigentlich geht: Sexismus. Und dass wir ihn aus der Welt schaffen wollen. Denn kulturelle und politische Handhabungen verändern sich zum Glück und das ist ein wichtiger Prozess in einer Gesellschaft. Gegen (institutionalisierte) Macht muss gekämpft werden, denn freiwillig wird sie nicht abgegeben. Dass in der Schweiz beispielsweise erst seit 2004 Vergewaltigung in der Ehe ein Offizialdelikt ist und geahndet wird, ist dem Kampf von Frauen* und Feministinnen zu verdanken. Das heraufbeschwörte Horrorszenario derjenigen, die die Männer* bereits durch totalitäre Feminazis mit abgeschnittenen Penissen ins Gulag verfrachtet sehen, zeugt wohl eher von konservativer Angst vor sozialen und politischen Veränderungen. Gegenüber dem, was «Gott, Natur und Markt» in Frage stellt, ungleiche Macht- und Ressourcenverteilung thematisiert und einem dazu bewegt, sich selber zu hinterfragen. Und das ist das Potential eines solchen Hashtags. Dass Fragen gestellt werden, dass gemeinsam Raum genommen wird, dass das sichtbar gemacht wird, was nicht gerne gesehen wird.