Rojava grün machen – Internationalismus und ökologische Revolution in Nordsyrien. Teil 2

Während der Klimabewegung vorgeworfen wird, zu radikale Forderungen zu stellen, wagen Aktivist*innen in Rojava bereits das scheinbar Unmögliche: Den Aufbau einer basisdemokratischen, feministischen und ökologischen Gesellschaft – und das mitten im Krieg. Anlässlich seiner Rundreise durch die Schweiz haben wir mit dem Journalisten und Aktivisten Anselm Schindler über das Projekt Make Rojava Green Again gesprochen. Teil 2 von 2.

Anselm, in Teil 1 unseres Gesprächs hast du die Dringlichkeit eines ökologischen Aufbruchs für Rojava geschildert. Aber ist es nicht etwas realitätsfern, sich mitten in einem mörderischen Krieg auf ökologische Probleme zu konzentrieren?

Hätten wir uns vor zehn Jahren überlegt, ob im Nahen Osten und speziell im nordsyrischen Teil von Kurdistan so etwas wie Rojava entstehen kann, dann wäre uns das auch realitätsfern erschienen. Ganz viel von dem, was dort schon Alltag ist, könnte man als realitätsfern bezeichnen. Und trotzdem findet es statt und zeigt auf, dass ein anderes Leben möglich ist. Dabei ist es wichtig, auch einen Fokus auf Ökologie zu legen. Auch wenn andere Fragen wichtiger erscheinen – ohne die Lösung der ökologischen Frage wird in der Region, aber auch in der restlichen Welt, kein Leben mehr möglich sein. Dann gäbe es nichts mehr zu verteidigen – keinen lebenswerten Boden, auf dem eine Revolution stattfinden könnte. Deswegen ist Ökologie einer der zentralen Punkte, mit dem wir uns befassen müssen. Ich würde die Ökologie weder hinter noch vor andere wichtige Faktoren stellen. Die militärische Verteidigung ist selbstverständlich zentral, ebenso die Frauenbewegung. Aber die Ökologie ist halt auch ein essentielles Thema.

Man kann Ökologie also nicht als separaten «Teilkampf» behandeln?

Nein. Ökologische Fragen bedingen ja auch ökonomische Probleme. Wenn wir etwa in Betracht ziehen, welchen Schaden Monokulturen in dieser Region angerichtet haben, dann sind das nicht nur Schäden, die die Natur betreffen. So werden Menschen durch Monokulturen in eine starke Abhängigkeit gebracht.
Die Monokulturen gehen übrigens auf Assad zurück. Unter ihm war der Gemüse- und Obstanbau lange Zeit verboten, obwohl der Boden in Rojava dafür geeignet wäre. Man forcierte stattdessen allein den Weizenanbau. Das führte direkt zu wirtschaftlichen Problemen: Gemüse musste etwa aus anderen Regionen importiert werden. Die Dezentralisierung und der Aufbau von Autonomie in der Landwirtschaft löst deshalb nicht nur, aber auch, ein wirtschaftliches Problem.

Dezentralisierung, Autonomie, Ökologie… Inwiefern spiegeln sich die Theorien Abdullah Öcalans und Murray Bookchins in eurer Kampagne?

Ich würde sagen, sehr stark. Gerade was den ökologischen Aufbruch in Rojava betrifft, ist sehr viel von Bookchin dabei. Nur schon deshalb, weil Bookchin immer betont hat, dass seine Ideen nicht komplett neu sind, sondern eine Zusammenführung bestehender Konzepte. Bookchin verstand es ausgezeichnet, den Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen und ökologischen Problemen aufzuzeigen und mit einem Lösungsansatz zu verbinden. Auch wenn es darum geht, urbane Räume neu zu denken, kann man bei Bookchin wichtige Inputs finden.

Öcalan wiederum hat viele dieser Ideen adaptiert, so dass diese nun in unterschiedlicher Form ihren Weg nach Rojava gefunden haben. So werden im Sinne der Dezentralisierung auf allen Ebenen des Rätesystems Kommissionen für Ökologie aufgebaut. In diesem Prozess wird offensichtlich, dass nicht von oben nach unten verordnet wird. Viel mehr versuchen die Räte, an der Basis der Gesellschaft Strukturen zu schaffen, die sich mit der ökologischen Frage beschäftigen.

Zurück zum Krieg. In diesem wird Wasser ja gewissermassen als Waffe eingesetzt.

Ja, wie bereits seine Vorgänger plant auch der türkische Präsident Erdogan riesige Staudämme am Euphrat und am Tigris, die beide dem türkischen Teil Kurdistans entspringen. Der Euphrat ist der wichtigste Fluss, der von der Türkei aus durch Syrien und somit durch Rojava fliesst. Der Tigris wiederum schneidet Rojava nur im Osten und fliesst dann in den Irak und ist dort eine wichtige Quelle für Landwirtschaft und Trinkwasserversorgung.

Entlang beider Flüsse baut das türkische Regime an einem riesigen Infrastrukturprojekt, das zwanzig Staudämme umfasst. Werden diese tatsächlich realisiert, bedeutet das die Räumung und Überflutung etlicher Ortschaften. Betroffen ist zum Beispiel die 12‘000 Jahre alte, multikulturelle Stadt Hasankeyf. Diese Stadt ist nicht nur in historisch-archäologischer Hinsicht von Bedeutung. Sie ist auch ein Beispiel für ein funktionierendes Zusammenleben verschiedener Religionen und Ethnien ohne eine türkische Dominanz. Nun aber droht die Zwangsumsiedlung Tausender.

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Blick auf den Flusslauf und Teile der Ortschaft Hasankeyf. Bild: civaka-azad.org

Als «Waffe» verwendet Erdogan das Wasser insofern, als dass er mit den Staudämmen ein Druckmittel gegen Syrien, den Irak und insbesondere gegen Rojava in der Hand hält. Am Drücker ist, wer wie die Türkei an der Quelle des Flusses sitzt. Auf die Regionen des unteren Flusslaufs kann die Türkei massiven Einfluss nehmen. Denn wenn der Wasserhahn zugedreht wird, wird dort das Leben schlicht unmöglich.

Wie hat die Türkei ihre Staudämme während des Krieges gegen den IS genutzt?

Wir haben Zahlen vom Tischrin-Staudamm ausgewertet. Das ist ein Staudamm am Euphrat in Rojava. Als der IS diese Gegend beherrschte und damit auch den Staudamm kontrollierte, floss das Wasser aus der Türkei in normalen Mengen ein. Als die Region Ende 2015 von der YPG/YPJ, respektive der SDF, mit US-Luftunterstützung eingenommen wurde, wechselte auch die Kontrolle über den Tischrin-Damm. Erdogan schloss darauf die Schleusen im türkischen Teil des Euphrats. Das Wasser verknappte sich. Auch hier zeigt sich, auf welcher Seite die türkische Regierung im Kampf gegen den IS wirklich steht.

Die im Krieg verwendeten Panzerabwehrraketen, etwa des Typs «Milan», verseuchen die Gegend radioaktiv. Wie gross ist das Ausmass der Zerstörung und wer verantwortet diese?

Alle Seiten setzten sowohl Brandkampfstoffe als auch Uranmunition ein. Auch von den US-Streitkräften oder der YPG im Kampf gegen den IS. Über gesundheitliche Folgeschäden dieser Waffengattung im syrischen Krieg gibt es noch kaum Zahlen. Wie sich etwa der Verlauf der Krebserkrankungen entwickelt, ist noch nicht bekannt. Aus dem Irak gibt es aber solche Zahlen. Dort ist die Krebsrate in der Nachkriegszeit deutlich angestiegen. Das hat verschiedene Ursachen, doch die Verseuchung der Böden durch Uranmunition war entscheidend. Besonders Kinder sind dadurch gefährdet.

Ähnliches gilt auch für Syrien. Im Bürgerkrieg und im Kampf gegen den IS setzten verschiedene Kampfverbände, inklusive die amerikanischen, auch weissen Phosphor ein. Das ist ein Brandkampfstoff, ähnlich wie Napalm, ist im Unterschied zu diesem aber toxisch. Giftige Phosphorbomben kamen etwa bei der Befreiung Raqqas von der IS-Herrschaft zum Einsatz.

Wer letztlich am meisten Brandkampfstoffe einsetzte, ist schwer zu sagen – die USA und das Assad-Regime haben sich sicherlich nicht zurückgehalten. Und auch der IS hat zu einer massiven ökologischen Zerstörung beigetragen, da er im Rahmen von Rückzügen immer systematisch alles niedergebrannt hat. Dabei zündeten IS-Kämpfer auch Ölfelder, Chemiefabriken und Landwirtschaftsflächen an. Die nachrückenden Kräfte sollten keine Infrastruktur, sondern bloss verbrannte Erde vorfinden. Auch setzte der IS riesige Plastikberge in Brand, um den Himmel zu verdunkeln und den US-Luftstreitkräften die Sicht zu nehmen.

Nordsyrien verfügt über beträchtliche Ölreserven. Werden die PYD und ihre Verbündeten an der Erdölförderung festhalten, wenn sie die Kontrolle über das Gebiet behalten können?

Nachdem der IS von den SDF besiegt worden ist, befindet sich heute etwa 50 bis 70 Prozent des syrischen Öls in den Händen der Selbstverwaltung. Derzeit gibt es eine eher undurchsichtige Form der Ölwirtschaft. Die ist ein stückweit zentralistisch, nach planwirtschaftlicher Logik organisiert und wird von TEV-DEM, der Verwaltungskoalition der autonomen Regionen, abgewickelt. Das ist gut, weil die Ölwirtschaft somit nicht der Marktwirtschaft unterworfen ist. Sowohl die Förderung, der Vertrieb wie auch die Preise werden durch die Koalition kontrolliert. Sie versucht auch, der Bevölkerung möglichst günstig Diesel und Benzin zur Verfügung zu stellen. Andererseits ist Ölförderung per se kritisch zu betrachten. Es werden aber schlichtweg noch immer massive finanzielle Mittel zu Verteidigungszwecken benötigt, weshalb die Ölförderung in ähnlichem Ausmass wie vorher weiterbetrieben wird.

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Blick auf Ölförderungsanlagen in Nordsyrien. Bild: Make Rojava Green Again

Der Hauptadressat des gewonnenen Öls ist zwar die lokale Bevölkerung. Sie ist jedoch nicht der Hauptabnehmer. Gehandelt wird mit Assad, auch mit dem irakischen Staat und der Barzani-Regierung in Irakisch-Kurdistan. Das sind natürlich alles Gesellschaftssysteme, die den Idealen der PYD und des gesamten TEV-DEM widerstreben. Mehr steht man teils in einem offenen Konflikt zueinander. Die Selbstverwaltung ist sich der ökologischen und politischen Problematiken bewusst, kann aber derzeit nicht auf den Ölhandel verzichten.

Welche politischen Auswirkungen wünschst du dir von Make Rojava Green Again?

Verschiedene Kämpfe müssen zusammengeführt werden! Das wünsche ich mir und daran arbeiten wir auch. Wir wollen antikapitalistische Bewegungen, radikal oder nicht, mit ökologischen Bewegungen zusammenführen und dadurch die Zusammenhänge von Kapitalismus, Krieg und Naturzerstörung besser sichtbar machen. Davon erhoffen wir uns ein Zusammenwachsen der Bewegungen. Wir waren in den letzten Wochen auch immer wieder an den FridaysForFuture-Demos präsent und haben da versucht, eine Antikriegsthematik hineinzutragen. Wir wollen damit diese Botschaft vermitteln: «Wir stehen und kämpfen für dasselbe und haben ähnliche Ideen. Der Kampf gegen den Klimawandel und ökologische Zerstörung muss auch ein Kampf gegen Militarisierung und Krieg sein.» Wir wollen aber auch von anderen Bewegungen lernen und sehen unsere Vermittlung nicht als Einbahnstrasse. Ich wünsche mir also für die Zukunft eine Bewegung, die all diese Dinge auf dem Schirm hat und Probleme ganzheitlich angeht.

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Make Rojava Green Again-Banner an den Fridays For Future-Protesten. Bild: Make Rojava Green Again

Und was wünschst du dir für Rojava?

Für Rojava ist ein Ausblick auf die geopolitische Situation fast unmöglich. Alle paar Wochen ändert sich die Situation. Niemand hätte etwa mit einem so schnellen Truppenabzug der USA gerechnet und niemand hätte gedacht, dass dieser kaum zwei Tage später implizit wieder zurückgenommen wird. Es lässt sich schlichtweg keine verlässliche Aussage zu Rojava treffen.

Es bleibt aber zu hoffen, dass Rojava seine relative Unabhängigkeit bewahren kann. Über die militärische Zusammenarbeit versuchen die USA natürlich immer wieder, auf das Projekt Einfluss zu nehmen und dieses von seinen ideologischen Wurzeln zu trennen. Das Pentagon wünscht sich einen kurdischen Protostaat unter amerikanischem Einfluss, analog zur kurdischen Region im Irak. Dagegen konnte sich TEV-DEM und die SDF bislang wehren, aber die Gefahr des Korrumpierens bleibt bestehen. Dieselbe Gefahr geht vom Assad-Regime aus. Sollte es zu einem Einmarsch der Türkei kommen, wird man sich auch auf Assads militärische Unterstützung verlassen müssen. Aber auch das birgt riesige Gefahren, weil Assad Gegenleistungen verlangen wird. Das ist das Spannungsfeld in dem sich Rojava bewegt. Auf der einen Seite wird immer wieder signalisiert, dass Rojava nicht an Krieg mit irgendeiner Seite interessiert ist. Gleichzeitig wird auch stetig betont, wie wichtig die gewonnene Unabhängigkeit ist. Es ist erstaunlich, wie gut das die letzten Jahre funktioniert hat und ich hoffe, dass das weiterhin so bleibt. Die Ökologisierung der Region wird nur möglich, wenn diese auch weiterhin selbstverwaltet bleibt. Sobald wieder Krieg ausbricht, wird die ökologische Entwicklung darunter leiden. Da ist es auch an uns in Europa, gegen die drohende Offensive durch die Türkei zu mobilisieren und immer wieder die Rolle von Staaten wie der Schweiz oder Deutschland zu beleuchten und zu kritisieren – zum Beispiel im Bezug auf Waffenlieferungen oder sonstige Partnerschaften.

Wer sich ausführlicher über die Naturzerstörung in der Region und über die Arbeiten und Lösungsansätze von Make Rojava Green Again informieren will, kann das über ihr Buch tun, das vor einigen Wochen auch auf Deutsch erschienen ist. Spenden für Make Rojava Green Again sind notwendig und simpel zu tätigen!