«Die Selbstorganisation der Schüler*innen ist das Wichtigste!»

Sie besetzen Schulen, Plätze und Strassen um gegen Sparmassnahmen zu protestieren, beteiligen sich an Aktionstagen gegen den Bildungsabbau und gehen regelmässig in Solidarität mit Geflüchteten auf die Strasse. Selbstbewusst und unabhängig von den offiziellen Strukturen schliessen sich Zürcher Schüler*innen zusammen und sind aktiv. Ein Erfahrungsaustausch von Protagonist*innen der aktuellen Proteste mit ehemaligen Aktivist*innen.

Clara
geht an die Kantonsschule Zürich Nord in Oerlikon und ist dort in der Schüler*innen-Gruppe Nord aktiv. Sie beteiligt sich in verschiedenen Bündnissen und will die antiautoritäre Organisierung stärken.

Ismail
besucht die Kanti Wiedikon und engagiert sich in der selbstorganisierten Schüler*innen-Konferenz. Er ist in einer autonomen Gruppe aktiv.

Rosa
hat das Liceo Artistico vor zehn Jahren abgeschlossen und war im Schüler*innen-Netzwerk aktiv. Sie ist in einer autonomen Gruppe organisiert, interessiert sich für feministische Themen und den Kampf gegen die Rechtsentwicklung.

Ernesto
hat vor zehn Jahren an der Kantonsschule Oerlikon die Matur gemacht und beteiligte sich am Schüler*innen-Netzwerk. Er bezeichnet sich als antiautoritären Kommunisten und interessiert sich für Arbeitskämpfe.

Wie ist es dazu gekommen, dass ihr euch an den Schulen organisiert?

Ismail
Die SK (Schüler*innen-Konferenz) an der Kanti Wiedikon ist als Gegenprojekt zur total unpolitischen Praxis der offiziellen SO (Schüler*innen-Organisation) entstanden. Der Handlungsspielraum der SO ist lächerlich und es erstaunt nicht, dass dabei nicht viel mehr herauskommt als ein paar Partys. Um aufzuzeigen, dass diese Institution machtlos ist und dass wir uns selbst organisieren müssen, haben wir eine witzige Kampagne gegen die Wahlen der Schüler*innen-Vertretung gemacht. So ist das Gefäss unserer Vollversammlungen entstanden. Wir diskutierten und handelten zusammen, statt Vertreter*innen zu wählen, die dann doch nichts verändern können.

Clara
An anderen Schulen gab es bereits selbstorganisierte Schüler*innen, zum Beispiel eben die SK an der Kanti Wiedikon oder die KriStalle (Kritisches Stadelhofen für alle). Freund*innen von mir waren da aktiv und ermutigten mich, auch an der Kanti Zürich Nord etwas aufzuziehen. An unserer Schule hat es 2000 Schüler*innen, da ist alles recht anonym. Aber im 2015 haben sich ein paar Leute zusammengefunden und seither gibt es die Gruppe Nord. Anders als die SK in Wiedikon sind wir kein offenes Plenum sondern eine mehr oder weniger feste Gruppe. Uns ist es wichtig, autonom zu sein. Wir organisieren uns unabhängig von der offiziellen Schüler*innen-Organisation. Die Zusammenarbeit mit ihr hat sich überhaupt nicht bewährt, weil die Interessen einfach zu verschieden sind. Wir arbeiten weder mit der Schulleitung, noch mit Lehrpersonen zusammen. Ich glaube, die Schulleitung weiss auch nicht recht, wer bei uns aktiv ist. Aber das ist super, so bleiben wir eigenständig.

Demonstration gegen die Sparmassnahmen nach der Bellevue-Besetzung Ende Februar 2017

Ernesto und Rosa, wie war das denn bei euch vor zehn Jahren? Hattet ihr auch die Einschätzung, dass die offiziellen Schüler*innen-Organisationen nicht geeignet waren, um euch politisch einzubringen?

Ernesto
Ja, das war bei uns ähnlich. Die Schüler*innen-Organisation an der Kanti Oerlikon war recht unpolitisch. Ich brachte mich da ein Jahr lang ein, habe mich dann aber mit einem politischen Austrittsschreiben wieder verabschiedet. Während mehreren Jahren nahm ich als Vertretung der Schüler*innen an den Konventen der Lehrpersonen teil. Da ich mit meinen politischen Interessen alleine dastand, war ich darauf angewiesen, Kontakte zu Leuten aus anderen Schulen zu knüpfen. Via meinen Bruder lernte ich das Schüler*innen-Bündnis kennen. Das war sehr spannend für mich, weil Leute aus all den verschiedenen Schulen zu den Sitzungen des Bündnisses kamen. Die Proteste und Schulstreiks gegen den Irak-Krieg waren ein grosses Thema. Auch die Proteste gegen die Budgetkürzungen des Kantonsrates hatten viel Schwung, weil alle Schüler*innen direkt davon betroffen waren.

Habt ihr euch durch die Aktivitäten an der Kanti politisiert oder durch euer ausserschulisches Umfeld?

Rosa
Zu meiner Zeit im Liceo waren wir eine tolle Gruppe von Freundinnen, wir haben uns für ähnliche Themen interessiert und uns so gegenseitig inspiriert. Wir hatten viel Energie und wollten etwas reissen. Unsere erste politische Aktion richtete sich gegen ein Pelzgeschäft und wir waren ziemlich mutig in der Wahl unserer Aktionsform. Im Nachhinein ist es witzig, sich daran zu erinnern, wie wir Fluchtwege geplant haben und versucht haben, die Medien auf die Aktion aufmerksam zu machen. Die vielen besetzten Häuser und die Leute, die darin aktiv waren, inspirierten uns zu dieser Zeit auch sehr.

Ismail
Ich komme aus einem eher linken Elternhaus. Als ich ins Rämibühl ins Gymi kam, war ich plötzlich mit so crazy Bonzen-Kids in der gleichen Schule. Ich merkte, dass ich mit all den rechten Typen nicht einverstanden bin. In dieser Zeit trat ich den Roten Falken bei. Später kam ich dann in die Kanti Wiedikon und bin jetzt in einer super Klasse, die Lehrer*innen bezeichnen uns als Kommunisten-Klasse.

Clara
Ich war bereits als Sechsjährige bei den Roten Falken, das hat mich geprägt. In meinem politischen Engagement ist mir deshalb eine antiautoritäre Praxis wichtig. In meiner Klasse gelte ich als die Linke, aber es gibt auch andere Mitschüler*innen, die sich für ähnliche Fragen interessieren wie ich.

Wie entsteht Bewegung an den Schulen, die über einige politisch aktive Einzelpersonen hinausgeht?

Rosa
Das hatte bei uns ganz klar mit dem Irak-Krieg im Jahr 2003 zu tun, es gab riesige Schüler*innen-Demos und Schulstreiks gegen den Krieg.

Ernesto
Ja, das Schüler*innen-Bündnis ist aus den Protesten gegen den Afghanistan- und den Irak-Krieg hervorgegangen. Es beteiligten sich Leute aus allen Kantis und auch zwei Lehrlinge waren dabei. Als der aktivste Teil irgendwann die Schule abgeschlossen hatte, versandeten die Aktivitäten. Es gab aber weiterhin viele Interessierte und es gelang uns, das recht heterogene Schüler*innen-Netzwerk zu gründen, das sich regelmässig alle zwei Wochen traf.


Das Schüler*innen-Netzwerk am 1. Mai 2006

Rosa
Das war die Zeit, in der ich dazu kam. Das Netzwerk traf sich zu öffentlichen Sitzungen, jedoch nicht in den Räumlichkeiten der Schule. Wir waren beflügelt von den massenhaften Protesten gegen den Krieg. Das Netzwerk beackerte seit Beginn nicht nur schulspezifische Themen, sondern alle Bereiche des politischen Widerstandes. Wir haben uns mit Bildungsabbau, Sponsoring an den Schulen, Arbeitsschutz von Jugendlichen, aber auch dem WEF, dem Frauenkampftag am 8. März und dem 1. Mai befasst. Wir haben in einem langen Prozess eine gemeinsame Plattform verfasst, eine Homepage gestaltet und monatlich zu Veranstaltungen und Filmvorführungen eingeladen. So waren wir ansprechbar für neue Leute. Aktivist*innen politischer Organisationen, namentlich des Revolutionären Aufbaus, konnten ihre Erfahrungen einbringen und hielten das Ganze zusammen.

Ernesto
Die Organisierung an den Schulen ist sehr abhängig von sozialen Kontakten. Wer politisch aktiv ist, lernt andere Leute kennen und es ist naheliegend, gemeinsam an den Schulen aktiv zu werden. Es braucht aber mehr, damit eine gewisse Breite entsteht. Ereignisse wie der Irak-Krieg oder die Solidarität mit den Refugees bewegen einen grossen Teil der Gesellschaft und können ausschlaggebend sein dass es Schüler*innen gelingt, sich zusammenzuschliessen. Die Erfahrung der Selbstorganisation an den Schulen ist eine wichtige Grundlage für spätere politische Kämpfe. Beispielsweise konnten wir an der Uni-Besetzung 2009 viel davon profitieren. Die Aktionen im Vorfeld der Uni-Besetzung kamen zum Teil auch aus dem weiteren Umfeld des ehemaligen Schüler*innen-Netzwerkes.


Das Schüler*innen-Netzwerk im Block des Revolutionären Bündnisses am 1. Mai 2006

Ismail und Clara wie ist es an euren Kantis dazu gekommen, dass ihr nicht mehr nur einige vereinzelte linke Schüler*innen seid?

Ismail
Wir haben an der Kanti Wiedikon mit Plakaten zu Versammlungen aufgerufen, die offen für alle waren. Wir diskutierten im Plenum, alle konnten das Wort ergreifen. In der Schüler*innen-Konferenz ging es seit Beginn um schulspezifische Themen. Unter anderem versuchten wir, etwas dagegen zu unternehmen, dass man an unserer Schule während den Lektionen kein Wasser aus Trinkflaschen trinken darf. Leider hatten wir damit keinen Erfolg. Mit der Zeit führten wir zur besseren Kommunikation Handzeichen ein, wie man sie von autonomen Vollversammlungen kennt. Doch inzwischen ist das Gefäss der Versammlungen etwas abgeflaut. Es waren immer die gleichen paar Leute, die Verantwortung übernahmen, deshalb war es schwierig, kontinuierlich zu arbeiten. Auch wenn sich die Versammlungen nicht konstituieren konnten, war es dennoch eine spannende und wichtige Erfahrung.

Clara
Bei uns an der Kanti Zürich Nord war es recht simpel: Linke Schüler*innen haben sich zusammengetan und sind jetzt gemeinsam aktiv. Je nach Prüfungsstress treffen wir uns zweimal pro Woche, manchmal aber auch nur einmal pro Monat. Unser roter Faden sind die Aktionen, die wir aushecken. Dabei geht es um grundsätzliche Fragen, die alle Gymischüler*innen betreffen. Mit Klebern und Plakaten werfen wir Fragen auf: „Warum gehst du zur Schule, bist du überhaupt glücklich?“ Oder: „Warum dürfen Lehrpersonen zu spät in die Stunde kommen, aber du nicht?“ Wir verbringen etwa achtzig Prozent unseres Alltages mit Schule und Lernen, und wenn wir uns umhören sagen viele, dass sie gar nicht gern zur Schule gehen, dass der Stress sie sehr belastet. Eigentlich ist das absurd. Unser Ziel ist es, Bewegung in das eintönige Fabriklernen zu bringen. Die Demonstrationen gegen den Abbau im Bildungswesen haben unsere Aktivitäten sehr geprägt und uns eine Struktur gegeben. Dafür haben wir uns auch mit KriStalle vom Stadelhofen, der SK aus Wiedikon und Schüler*innen aus Küsnacht zusammengeschlossen.

Demo gegen Sparmassnahmen nach der Bellevue-Besetzung Ende Februar 2017

Wie ist euer Verhältnis zu linken Strukturen ausserhalb der Schule?

Ismail
Einige Schüler*innen unserer Kanti sind bei der Schwarzen Flamingo Maschinerie aktiv. Die im Jahr 2016 monatlich stattfindenden Refugees-Welcome-Demos der Schüler*innen waren sehr präsent an der Kanti Wiedikon. Immer wenn wieder eine Demo angesagt war, hingen Transparente und Plakate. Diese Demos wurden aus dem Umfeld der SFM organisiert. Abgesehen davon gab es bei uns bis jetzt keine enge Zusammenarbeit mit anderen politischen Gruppen.

Clara
Wir von der Kanti Zürich Nord sind gut vernetzt. Wir kennen Leute aus anderen Schulen und tauschen uns aus. Auch zu den Studierenden der KriPo (Kritische Politik an der Uni und ETH Zürich) haben wir Kontakt. Am „Tag der Bildung“ beteiligten wir uns an den Aktivitäten des Bündnisses „Kämpfen für Bildung“. Da wollten wir uns als Schüler*innen einbringen und nicht die Student*innen alles machen lassen. Wir insistierten, dass auch Schüler*innen in der Demoleitung vertreten sein sollten. Wir fühlten uns manchmal nicht ganz ernst genommen und hatten Mühe, uns durchzusetzen, weil die Studierenden älter sind und mehr Erfahrung haben. Ein weiteres Problem war die Form der Kommunikation. Gerade als es schnell gehen musste und die Schulleitungen in den Medien gegen das Bündnis „Kämpfen für Bildung“ polemisierten, wurde per Mail über Stellungsnahmen diskutiert. Aber wenn du in die Kanti gehst, kannst du nicht immer am Compi sein und findest erst am Abend die Möglichkeit, dich in die Mail-Debatten einzubringen. Dann ist schon alles vorbei und die Beschlüsse stehen. Es gibt politische Gruppen, die sich sehr dafür interessieren, mit uns zusammenzuarbeiten, unter anderem die BFS (Bewegung für den Sozialismus). Das ist spannend und bringt uns weiter, aber es führt manchmal auch zu merkwürdigen Situationen. Ich will niemandem böse Absichten unterstellen, aber teilweise haben wir schon das Gefühl, dass wir vor allem als potentieller Nachwuchs interessant sind. Das hatte bei uns vor einiger Zeit zu Unstimmigkeiten in der Gruppe geführt. Wir haben festgestellt, dass es uns hemmt, wenn wir uns zu sehr auf Dinge ausserhalb der Schule konzentrieren. Darum befassen wir uns wieder mehr mit eigenen Themen.

Wie war das bei euch vor zehn Jahren? Habt ihr ähnliche Erfahrungen gemacht?

Rosa
Die Zusammenarbeit des Schüler*innen-Netzwerkes mit anderen Gruppen war sehr eng. Wir koordinierten unsere Aktionen mit dem Revolutionären Bündnis und die Frauen beteiligten sich am 8.-März-Bündnis. Je nachdem wen man fragte, galten wir sogar als Teil dieser Bündnisse. Im Nachhinein ist mir klar, dass unser Netzwerk sozusagen unter der Obhut des Revolutionären Aufbaus stand. Das sorgte zwar für Kontinuität und Verbindlichkeit, zog aber auch die Problematik der Vereinnahmung nach sich. Irgendwann wurde es dann offen ausgesprochen, dass es die Absicht des Aufbaus war, eine neue Gruppe zu gründen, die das Jugendplenum ihrer Organisation sein sollte. So ist die RJZ (Revolutionäre Jugend Zürich) entstanden. In dieser Gruppe hatte der Aufbau etwas zu melden, da waren die Verhältnisse klarer. Das Schüler*innen-Netzwerk bestand dann noch ein bisschen weiter, weil ich und andere uns dagegen entschieden, der RJZ beizutreten und das Netzwerk weitertragen wollten. Als wir die Schule abgeschlossen hatten, wollten wir die verbliebenen Schüler*innen selbst machen lassen. Es ist in diesem Alter wichtig, dass man eigene Erfahrungen sammelt und selbstbestimmt Politik machen kann. Leider versandeten die Aktivitäten dann im Jahr 2009.

Ernesto
Ich würde sagen es gab ein Generationenproblem. Viele der älteren Leute des Schüler*innen-Netzwerks waren im Aufbau organisiert. Und diese Organisation hatte zum Netzwerk ein recht strategisches Verhältnis. Als die Leute vom Aufbau vorschlugen, die RJZ als neue Organisation zu gründen, argumentierten sie damit, dass wir für sie eh schon lange eine Rekrutierungsbasis darstellten. Es war unangenehm, dass die Leute abgeschöpft wurden. Andererseits war es tatsächlich auch unser Problem, dass die jüngeren Gymi-Jahrgänge weniger politische Dynamik mitbrachten und wir zu wenige neue Leute hatten, die sich weiterhin in der Form des Schüler*innen-Netzwerks organisieren wollten.

Rosa
Die Konflikte, die ich während der Abspaltung bzw. Gründung der RJZ mit meinen Freundinnen ausgetragen habe, beschäftigten mich sehr. Ich konnte das später besser reflektieren, aber damals machte mich das wütend. Für mich war klar, dass ich nicht der RJZ oder dem Aufbau beitreten möchte. Ich bin skeptisch gegenüber dieser Ausprägung linksradikaler Politik und deshalb organisiere ich mich in einer autonomen Gruppe. Aber alles in allem habe ich aus der Zeit im Schüler*innen-Bündnis viel Gutes mitgenommen und ich denke das ging nicht nur mir so. Die Leute, die sich für die RJZ und den Aufbau entschieden haben, sind bis heute gute Genoss*innen und Freund*innen. Der gemeinsame Aktivismus war ein fester Bestandteil des Schulalltags, das schweisste uns zusammen. Wir diskutierten, heckten Aktionen aus, gingen am Abend plakatieren. Einige von uns wurden auch mal verhaftet und das führte zu noch mehr Zusammenhalt. Unsere Standaktionen mit Punsch und auch andere Aktivitäten waren sehr erfolgreich, sogar die Lehrpersonen kamen vorbei, um mal zu hören was wir genau machen. Wie ist denn das bei euch heute? Denkt ihr auch, dass ihr Diskussionen und Begegnungen in Gang bringt?

Ismail
Sicher, wir regen viele Diskussionen an. Ich merke das besonders in unserer Klasse aber auch an der ganzen Schule. Ich werde aber manchmal das Gefühl nicht los, extrem viel Aufwand zu betreiben, ohne dass besonders viel dabei herauskommt. Bemerkenswert finde ich jedoch, wie wenig es braucht, dass die Schulleitung Angst bekommt. Nach kurzer Zeit wurde es beispielsweise verboten Plakate aufzuhängen. Wenn sich zwanzig Schüler*innen regelmässig treffen, ohne dass die Schulleitung weiss, was da genau passiert, dreht sie sofort am Rad. Das ist eine bestärkende Erfahrung.

Was habt ihr für Erfahrungen mit der Repression gemacht?

Clara*
In den letzten Monaten gab es Phasen, in denen die Schulleitungen mächtig Druck auf uns ausübte. Die geplanten Demonstration des Bündnisses „Kämpfen für Bildung“ jagte den Organisator*innen des offiziellen „Tag der Bildung“ einen so grossen Schreck ein, dass sie ihre eigene Kundgebung absagten. Ein Mitglied der SO der an Geltungsdrang leidet, liess sich von der Schulleitung vor den Karren spannen. Er ging in alle Klassen, um Schreckensmärchen zu erzählen und die Schüler*innen davon abzuhalten, an der Demo „Kämpfen für Bildung“ teilzunehmen. Er drohte damit, dass dort Steine geschmissen würden und dass es sehr gefährlich sei. Als er in unsere Klasse kam, um Stimmung zu machen, zeigte er auf mich und sagte, wer noch Fragen habe zur Demo, könne sich ja an mich wenden. Dieses Outing war unangenehm, denn die Lehrerin war im Zimmer. Wir mobilisierten aber trotz des grossen Druckes weiter und unsere Demo war zwar nicht bewilligt aber es kamen viele Leute und war ein Erfolg!

Ernesto
Während meiner Zeit an der Kanti Oerlikon gab es nur wenige aktive Leute. Ich galt als das gebrannte Kind. Ein Mitstreiter wurde von der Schulleitung öffentlich beim grossen Stundenplan denunziert, er sei ein Dealer und Kiffer. Er wurde von der Polizei auf dem Schulareal verhaftet, weil er Gras dabei hatte. Es gab sechs Jahre später einen Prozess gegen dieses Vorgehen und mehrere Verantwortliche der Schulleitung wurden verurteilt, soviel ich weiss wegen Amtsmissbrauch und Ehrverletzung.

Rosa
Wir vom Schüler*innen-Netzwerk hatten damals vor allem mit der Polizei Probleme. Zuerst waren es eher kleine Dinge, Plakatieren und so. Dann gab es aber einen Super-Gau am 1. Mai 2007. Nachdem es einen Farbanschlag auf die Bildungsdirektion gegeben hatte, wurden sieben Schüler*innen verhaftet und waren zehn Tage in Untersuchungshaft.

Wirkt die Repression durch die Schulleitung oder die Polizei eher abschreckend oder bestärkend?

Rosa
Als unsere Freund*innen in U-Haft waren, durchlebten wir im Netzwerk eine sehr intensive und prägende Zeit. Wir waren natürlich angewiesen auf die Rote Hilfe, die uns Anwält*innen organisierte und uns wertvolle Unterstützung leistete. Wir selbst hatten zwar ein bisschen Antirep-Vorwissen, Aussageverweigerung und so. Darum wurden alle Verhafteten freigesprochen und bekamen Schadenersatz ausbezahlt. Die Sache mit den Verhaftungen hat meine politische Haltung gegenüber dem Staat nochmals grundlegend beeinflusst.

Ernesto
Aktionsformen auf einer höheren Eskalationsstufe, also nur schon beispielsweise Plakatieren, können dazu führen, dass weniger Leute mitmachen. Man wird halt schnell mal hops genommen. Sobald man klandestine Aktionen plant, verliert man einen grossen Teil der Leute. Für den Aktivismus an den Schulen finde ich diejenigen Aktionsformen gut, an denen sich viele Leute beteiligen können, und mit denen man offen auftreten kann. Auf dem Schulhof einen Punsch- und Info-Stand aufzustellen, ist ja eigentlich schon illegal, wenn man vorher nicht um Erlaubnis fragt. Es ist eine gute Aktionsform, da man sich damit nicht von der Schulleitung gängeln lässt, aber immer noch genügend Rückhalt hat.

Rosa
Ich stimme dir da teilweise zu, aber ich muss auch sagen, dass gerade die Geschichte mit den Verhaftungen und der U-Haft unserer Freund*innen unserem Umfeld starken Aufwind beschert hat. Wir mussten jeden Abend irgendwo Feuerwerk zünden gehen, Zeug in den Knast bringen, mit allen Eltern in Kontakt treten. Es war sehr intensiv und hievte unsere politische Arbeit auf eine neue Ebene. Die Unterstützung von Strukturen ausserhalb der Schulen war gross und wir checkten, dass da Leute mit Erfahrung sind, auf die wir bauen konnten.

Ernesto
Aber man kapselt sich damit auch ab von denjenigen Schüler*innen, die keinen Bock auf das haben.

Rosa
Ich weiss, was du meinst. Aber das war nur für eine gewisse Zeitspanne so. Wir sind ja dann nicht in die Illegalität abgetaucht.

Ernesto
Da haben wir wohl eine unterschiedliche Haltung. Natürlich haben wir profitiert von der linken Szene, aber für mich wurde das etwas überschattet durch die Tendenz zur Vereinnahmung. Und dazu gehören für mich auch Aktionen auf höherer Eskalationsstufe. Ich fand die Zeit, in der wir an den Schulen aktiv waren, unsere eigene Agenda verfolgten und unsere eigenen Diskussionen führten, viel interessanter als die Zeit, als wir sehr nah mit anderen Akteur*innen aus der linken Szene zusammenarbeiteten und ihre Aktionsformen übernahmen.

Clara
Ich erlebe es aktuell auch so, dass die Schüler*innen mit wenig Anbindung an den politischen Aktivismus, sich wohler fühlen, wenn eine Demo bewilligt ist. Und es erschliesst sich aus ihrer Perspektive nicht auf den ersten Blick, was gegen eine Bewilligung spricht. Da muss man immer abwägen. Für Mobilisierungen an den Schulen ist es natürlich cooler, wenn viele Leute kommen als wenn sich ein grosser Teil abschrecken lässt. Andererseits sollte man sich da auch nicht zu viel vorschreiben lassen. Wir holen kaum je Bewilligungen für unsere Aktionen ein und sind trotzdem anschlussfähig. Auch die Demo „Kämpfen für Bildung“ war nicht bewilligt und dennoch recht gross. Bezüglich der linken Szene finde ich es am besten, wenn wir uns dort Unterstützung holen, wo wir sie brauchen und ansonsten versuchen, selbständig und selbstbestimmt aktiv zu sein.

Ismail
Mir ist es besonders wichtig, dass wir Schüler*innen uns untereinander vernetzen und dass wir unsere Anliegen selbst vertreten. Leute aus der Politszene müssen uns die Welt nicht erklären, wir finden es super, eigene Erfahrungen zu machen.

Was würdet ihr jüngeren Schüler*innen raten, die an den Schulen selbstorganisierte linke Politik machen wollen?

Ernesto
Am interessantesten fand ich es jeweils, zu Themen zu arbeiten, von denen man selbst betroffen ist. Und solche Themen gibt es gerade an den Schulen ja zuhauf. Wir haben uns beispielsweise gegen die Sechstagewoche gewehrt, oder wie es Ismail erzählt hat, haben sie sich gegen das Wassertrinkverbot während der Lektionen gewehrt. Auch bildungspolitische Themen und der Widerstand gegen Sparmassnahmen können viele Leute bewegen. Aber trotz der direkten Betroffenheit ist es nicht ganz einfach, mit solchen Themen gleich viele Leute zu mobilisieren wie beispielsweise gegen Krieg oder für Solidarität mit Geflüchteten. Wenn man nicht genug Leute zusammenbringt für einen Infostand oder ähnlich, bietet es sich an, sich gegenseitig zu unterstützen. So kann man sich auch besser gegen Anfeindungen durch rechte Schüler*innen oder durch die Schulleitung schützen. Ich würde sagen, das wichtigste ist es, Diskussionen anzuregen. Dafür fand ich unsere Suppen- und Punsch-Stände eine gute Form.

Clara
Natürlich, Standaktionen oder Plakatieren sind wichtig. Die Grundlage für Politisierung entsteht meiner Einschätzung nach aber in persönlichen Gesprächen. Ich finde es wichtig, am Mittag mit meinen Mitschüler*innen nicht über Belanglosigkeiten zu sprechen. So können politische Fragen aufgeworfen werden und das Interesse steigt. Wenn ich eine Person aus meiner Schule an einer Demo treffe, unterhalte ich mich danach mit ihr. Weiter finde ich auch, dass man sich zusammenschliessen und gemeinsam aktivistische Erfahrung suchen soll.

Rosa
Ich finde es auch gut, Diskussionen anzuregen. Aber es ist mindestens gleich wichtig, Mut zu entwickeln, sich zusammen zu tun und Banden zu bilden. Heckt gemeinsam Aktionen aus, lernt euch kennen. Beteiligt euch zusammen an politischen Aktionen, um Erfahrungen zu sammeln. Ich habe zum Beispiel gute Erinnerungen an eine coole Plakataktion, die aus dem Umfeld der besetzten Häuser organisiert wurde. Man konnte Plakate gestalten und auf eine Homepage laden, die wurden dann massenhaft gedruckt und zusammen mit unzähligen Leuten in einer Nacht geklebt.

Ismail
Wenn man eine Zeit lang gemeinsam politisch diskutiert, kommt irgendwann automatisch die grundlegende Frage auf: Ist es mit ein paar kleinen Änderungen im Schulalltag wirklich schon getan? Was steht hinter der Misere? Brüche sind wichtig, aber man muss die Schritte in diese Richtung gemeinsam machen. In selbstorganisierten Schüler*innen-Gruppen sollte man auf Kontinuität achten und die Verantwortung so früh wie möglich auf viele Leute verteilen. Die Verantwortung nicht zu delegieren und irgendjemanden in die SO abzustellen, sondern sich selbst zu organisieren und für seine Interessen einzustehen, das ist ein starkes Zeichen. Selbstorganisation ist meiner Meinung nach das Wichtigste!