Klimanotstand am Finanzplatz – Zürich und Basel gehen hart gegen Aktivist*innen vor

Am Montag, 8. Juli blockierten Klimaaktivist*innen die Eingänge von Filialen der Grossbanken UBS und CS. Es folgten polizeiliche Übergriffe, hohe Strafen und mediale Spaltungsversuche. Einschüchtern lässt sich die Bewegung davon aber nicht.

Skandal im Geldbezirk: Um 7 Uhr morgens setzten mehrere Dutzend Klimaaktivist*innen in weissen Ganzkörperanzügen vor die Eingänge des Hauptsitzes der Credit Suisse am Zürcher Paradeplatz. Sie brachten Fahrräder und Pflanzenkübel mit, an die sie sich anketteten. Zur gleichen Zeit wurde auch in Basel der dortige Hauptsitz der UBS blockiert. Mit dieser Aktion wollte das Collective Climate Justice auf den Umstand aufmerksam machen, dass alleine diese beiden Schweizer Grossbanken mit ihren Investitionen doppelt so viel CO2-Ausstoss verursachen wie die ganze Schweiz.


Klimaaktivist*innen vor der CS in Zürich

In beiden Städten griff der Staat hart durch. Die Blockaden wurden nach wenigen Stunden geräumt, alle Aktivist*innen für über 48 Stunden in Haft genommen und mit hohen Geldstrafen belegt. Ausländische Aktivist*innen erhielten zudem Landesverweise von bis zu drei Jahren. Eine Person, die sich weigert, ihre Identität preiszugeben, sitzt immer noch in Haft. Doch damit nicht genug. Letzte Woche publizierte das Collective Climate Justice eine Liste, welche die polizeilichen Übergriffe zusammenfasst. Sie ist lang: Verweigerung von Rechtsbeistand und Dolmetscher*innen, keine Auskunft über den Grund der Festnahme, keine medizinische Versorgung, nicht genügend Essen, mehrfache Leibesvisitationen, Beleidigungen und Einschüchterungen, Gewaltanwendung, Einschränkung der Pressefreiheit.


Blockade vor der UBS in Basel

«Rücksichtslos und unprofessionell»

Vor dem Eingang der CS am Zürcher Paradeplatz sass auch die 19-jährige Chiara, eine junge Frau mit weicher Stimme, die aus dem Stehgreif den Umweltbericht des Bundes zitiert. Chiara war von Beginn an bei der Klimastreikbewegung dabei und hatte sich spontan zur Teilnahme an der Aktion entschlossen. Wenn sie über ihre Verhaftung durch die Polizei spricht, schüttelt sie immer wieder ungläubig den Kopf:

«Absurd ist das treffende Wort für den Auftritt der Polizei. Als wir angekettet vor der Credit Suisse am Boden sassen, haben die Beamten sich erst überhaupt nicht für uns interessiert. Sie haben nicht einmal mit uns geredet. Aber als sie dann die Räumung angekündigten, stellten sich ganz viele Robocops um uns herum auf. Sie waren in Vollmontur, wir in unseren weissen Anzügen. Ich gehörte zu den ersten, die abgeführt wurden. Erst haben sie an mir rumgezerrt und gar nicht bemerkt, dass ich angekettet war. Dann waren sie erst einmal ratlos. Aber die Kette haben sie sich gar nicht angeschaut. Vielleicht hätten sie dann bemerkt, dass sie das Schloss locker mit einem Bolzenschneider hätten öffnen können. Stattdessen kamen sie mit einer Flex an. Dabei wurde ich von fünf männlichen Polizisten fixiert und sie haben mir nicht einmal erlaubt, die Hosen so runterzukrempeln, dass meine Beine vor den Funken geschützt wären.

Als ich mich weigerte, mich fotografieren zu lassen, haben die Polizisten mich in den «Scharfen» geworfen. «Der Scharfe» ist, wie ich dann bemerkt habe, ein Kellerloch. Ein Klo, ein Stuhl, ein Tisch. Dort haben sie mich einige Stunden sitzen gelassen. Ohne Begründung, ohne Ansage. Danach haben sie mich zur Forensik gebracht, um mir meine DNA abzunehmen. Ich meine, sie haben mich ja von einer Kette losgelöst, mit der ich vor dem Eingang festgemacht war – was genau wollen die mit der DNA-Abnahme denn noch mehr beweisen? Als ich nicht aktiv mitgemacht habe, wurden sie genervt. Sie haben mich im Raum rumgeschmissen und auf den Boden geworfen. Ich habe mehrfach nach dem Namen der beiden Polizisten gefragt, das wäre mein Recht gewesen. Als Antwort bekam ich erst «Michael Jackson», dann «Bruce Willis» und beim dritten Mal meinte er, er wisse schon, dass dies mein Recht wäre, aber jetzt scheisse er drauf. Als ich auf dem Boden lag und die Polizisten für die DNA-Abnahme auf mich draufsassen, musste ich weinen.»


Bellen, beissen, böse gucken – Polizeihunde versuchen Klimabewegung einzuschüchtern

Dass die Polizei und Staatsanwaltschaft versuchen würden, die Festgenommenen sowohl auf juristischer als auch auf persönlicher Ebene einzuschüchtern, darauf war Chiara gefasst. Dass dies so «unverhältnismässig und unprofessionell» passieren würde, das überraschte sie dann aber doch.

Repression auf allen Kanälen

Dabei gaben sich die Repressionsbehörden der links-grün regierten Stadt Zürich solche Mühe, eine Machtdemonstration zu inszenieren: Für die Festnahme der 65 Blockierer*innen wurde der halbe Paradeplatz abgesperrt, und zwar so, dass möglichst viele Tramlinien unterbrochen werden mussten. In einer Reihe stellten sich grimmig dreinblickende Polizist*innen vor der Bank auf, während dahinter gepanzerte Robocops alle möglichen Schneidgeräte hin- und hertrugen. Auf Twitter verkündete die Stadtpolizei Zürich derweil, dass sich die «Krawallgruppe» der Staatsanwaltschaft um die Ermittlungen kümmern werde. Während die unbescholtene Userin noch glaubte, in der Zürcher Innenstadt seien Barrikadenkämpfe im Gang, schwante der aufmerksamen Beobachterin schon Böses: Denn die «Krawallgruppe», das ist vor allem der notorische Staatsanwalt Edwin Lüscher. Dieser führt seit Jahren einen regelrechten Privatfeldzug gegen Hausbesetzer*innen, Linke und Fussballfans und ist für seine absurd hohen Strafforderungen berüchtigt. Am darauffolgenden Tag beklagte Staatsanwalt Lüscher sich gegenüber den Medien darüber, dass die vielen Verhafteten ärgerlicherweise auch noch von ihrem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch machen. Da könne die Untersuchungshaft eben auch mal etwas länger dauern. Die ungezogenen Kinder sind also selber schuld.


«Grosseinsatz provoziert» – Polizist*innen beim Posieren in der Zürcher Bahnhofstrasse

Auch Chiara bestätigt den Eindruck, dass es den Behörden wohl nicht nur um die Durchsetzung des geltenden Rechts ging: «Bei den Schikanen hatten wir oft das Gefühl, dass es den Wärter*innen darum ging, uns eine Lektion zu erteilen. Alles was uns Kraft gegeben hat, haben sie sofort wieder unterbunden. Als wir in den Zellen getrommelt und gesungen haben, haben sie uns mit «dem Scharfen» gedroht. Schliesslich haben sie die Fenster geschlossen, weil wir nicht aufhörten. Am Nachmittag wurde es dadurch unerträglich heiss und stickig in den Zellen. Beim Hofgang am zweiten Tag haben wir uns zum ersten Mal alle wiedergesehen. Wir haben uns sehr gefreut, Spiele gespielt, gesungen und gelacht. Danach waren die Wärter*innen noch angepisster als zuvor. Sie haben sich richtig darüber geärgert.»

Auch in Basel war die Polizei auf Krawall aus

Wer hat Angst vorm schwarzen Block?

Hinter der Repression und Schikane gegen die Blockierer*innen stecken nicht nur übermotivierte Staatsanwälte und ein paar frustrierte Beamt*innen. Die Verantwortlichen wissen die politische Stimmung auf ihrer Seite. Zwar zeigen breite Teile der Öffentlichkeit Sympathien für die Jugendlichen, die zu zehntausenden im ganzen Land endlich wirksame Massnahmen gegen den Klimawandel fordern. Doch es geht auch die Angst um, dass die eindrücklichen Demos zu einer Bewegung werden könnten, welche die bestehenden Verhältnisse kritisiert und nachdrücklich auf Veränderungen pocht. Schon bevor die erste antikapitalistische Parole auf einem Transparent gesichtet wurde, warnten Politik*innen, Behörden und Medien aufgeregt vor einer möglichen Radikalisierung der Klimabewegung und angeblichen Unterwanderungsplänen des bösen schwarzen Blocks. Doch die Klimajugend liess sich nicht auf die Spaltungsversuche ein und verweigerte konsequent jegliche Distanzierung von linksradikalen Organisationen und Inhalten. Die Bewegung sei offen, alle könnten ihre Forderungen einbringen und sowieso kenne man die fraglichen Gruppen und viele ihrer Mitglieder seien Teil der Bewegung.


Klare Forderungen in Basel

Nun scheint die Zeit gekommen, den Druck auf die Klimabewegung zu erhöhen. Zahlreiche Medien und Politiker*innen spielen willig mit: «Hitzköpfe kapern die Klimabewegung» titelte etwa der Zürcher Tages-Anzeiger. In der Blockade der Bankeingänge meinte der Kommentator «Szenen einer zunehmenden Radikalisierung» zu erkennen und warnt: «Mit der Radikalisierung verlieren sie ihre eigentlichen Ziele aus den Augen.» Die Medien würden so halt auch gar nicht mehr über die Inhalte berichten, sondern nur noch über die «extremen» Aktionsformen, schreibt der Tages-Anzeiger und ganz der sich selbst erfüllenden Prophezeiung folgend berichtet das Blatt weiter über die böse Banken-Blockade. Das SRF zieht zur wissenschaftlichen Untermauerung ihres Ratschlags sogar eine «Jugend- und Gesellschaftsforscherin» bei: «Auch Leute, die weniger extrem unterwegs sind, müssen eine Heimat in der Bewegung haben und weiterhin interessiert sein, an den regulären Demonstrationen teilzunehmen.»

Völlig unkritisch übernehmen die Medien hier das staatliche Narrativ von der «radikalen Blockadeaktion». Eine Sitzblockade und angekettete Aktivist*innen werden somit zu einer Aktion, die Leib und Leben der anwesenden Polizist*innen gefährdet, die Bankangestellten nötigt und das politische System der Schweiz in Frage stellt. Sind diese Assoziationen erstmal hergestellt, gerät die zentrale Tatsache aus dem Blick: Die einzigen, die an diesem sonnigen Montag gewalttätig und gefährlich waren, trugen Uniform.

Solidarität und Debatte

Die Reaktion der Klimabewegung war dafür umso erfreulicher. Noch am gleichen Abend, am nächsten Mittag und an den darauffolgenden Tagen demonstrierten in beiden Städten hunderte für die Freilassung der «Klimaheld*innen». Rund um die Uhr zeigten Freund*innen und Sympathisant*innen ihre Solidarität vor den Knästen. «Wir haben herausgefunden, dass wir eine Ecke der Strasse sehen konnten, wenn wir das Fenster in einem bestimmten Winkel anlehnten. Da sassen immer Leute, viele habe ich gekannt. Alle von meiner Klimastreik-Gruppe waren da. Das war mega cool!»

Haben die Spaltungsversuche gewirkt?

Nein, spalten wird das die Bewegung sicher nicht. Als wir rauskamen waren alle mega happy, ich hatte nie das Gefühl von Spaltung. Im Klimastreik war es auch gar keine Diskussion, ob man sich mit uns solidarisiert. Und auch Leute in meinem Umfeld, die nicht in der Klimabewegung aktiv sind, fanden die Polizeireaktion ziemlich überrissen, weil die Aktion ja sehr friedlich war. Viele wollten wissen, warum ich an der Aktion mitgemacht habe. Mein Vater meinte dann, er könne mich ja schon verstehen. Ich habe ihm gesagt, ich fände es am Schönsten, wenn wir uns nächstes Mal als ganze Familie anketten. Er hat zumindest nicht nein gesagt.

Wie geht es jetzt weiter?

Die Bewegung ist breit und es hat Platz für viele verschiedene Menschen und Aktionsformen. Der Klimastreik ist ein super Einstieg für viele Menschen, wo alle mitmachen können, wo einem alles erklärt wird. Ich war vorher noch nie politisch aktiv und hier konnte ich mich einfach einbringen. Aber ich habe gemerkt, dass mir das ein bisschen zu wenig ist. Aktionen wie diese Blockade, sagen mir mehr zu. Sowas will ich auch in Zukunft machen. In der letzten Zeit habe ich mich bewusst radikalisiert.

Ganz ohne den schwarzen Block?

Chiara lacht laut.

P.S.:
Merkblatt für Betroffene der Repression vom Climate Justice Collective