Der Archipel Sommaruga – Wie die Schweiz Asylsuchende schikaniert, drangsaliert und einsperrt

Bundeszentrum, Ausschaffungsgefängnis und «besondere Zentren» bilden die Basis des neuen Asylgesetzes. Auch das Bundesasylzentrum im Duttweilerareal in Zürich ist Teil dieses Archipels, auf dem niemand Ferien macht.

Wie kleine Inseln in einem Meer von Wohlstand, Konsum, CO₂-Ausstoss und Zufriedenheit gibt es in der Schweiz ein Netz von Lagern, Heimen, Gefängnissen und Notunterkünften: Der Archipel Sommaruga. Eine wichtige Insel des Archipels ist das Bundesasylzentrum im Duttweilerareal. Die Stadt Zürich und der Bund haben dem Stimmvolk das Bundesasylzentrum gut verkauft: Den Rechten wurde versprochen, dass Asylsuchende, die «kein Recht auf Aufenthalt» hätten, schneller wieder draussen wären und es ausserdem eine strenge Hausordnung gebe. Den Menschenfreunden versprach man eine bessere juristische Unterstützung der Geflüchteten, den sparsamen Zürcher*innen tiefere Asylkosten, da Zürich im Gegenzug fürs Zentrum weniger andere Geflüchtete in den knappen Wohnungen unterbringen müsse. Und so stimmten denn rund 70 Prozent der Abstimmenden der Stadt Zürich für das Bundesasylzentrum. «Lieber hier in Zürich, wo wir wenigstens in der Nähe sind und eine Abteilung der rot-grün-liberalen Stadtverwaltung das Sagen hat», haben viele gedacht. «Lieber hier, als in einem heruntergewirtschafteten Militärlager irgendwo im Schächental.»


Schweizer Qualität – in der Stadt Zürich baut die SP (Fehr, Mauch, Sommaruga, Golta v.l.n.r.) das neue Bundesasylzentrum

Und jetzt ist das Bundesasylzentrum auf dem Duttweilerareal bald da. Es ist kein Gefängnis, aber auch kein Heim. Es ist irgendetwas zwischendurch und dazu bestimmt, Asylsuchende und andere unerwünschte Eingewanderte schlecht zu behandeln. So schlecht, dass sie es überall herumerzählen: «Komm nicht in die Schweiz. Es geht dir dort mies, du wirst schlecht behandelt und hast keine Rechte. Deine Chance Asyl zu bekommen ist klein und die Kontrolle ist total.»

Kontrollieren und Strafen

Die Regeln im Zentrum sorgen für «gegenseitigen Respekt» und «Sicherheit», wie es in einer Pressemitteilung des Justizdepartements heisst. Das tönt gut und wurde von den gestressten Journalist*innen der Nachrichtenagenturen gerne abgeschrieben. In Wirklichkeit dient das Zentrum vor allem der Kontrolle.

Aus der Verordnung des Bundesrats: Die Zentren sind «für die Öffentlichkeit nicht zugänglich», wer sie bewohnt, kann jederzeit durchsucht werden, es gibt eine «Abwesenheitskontrolle», die je nach Status verstärkt werden kann und verlassen dürfen die Asylsuchenden das Zentrum nur von 9 bis 17 Uhr. Am Wochenende auch länger. Die Liste der «Disziplinarmassnahmen» umfasst die Punkte a) bis f), die letzten zwei sind entscheidend. Die Chefs des Bundesasylzentrums können die Asylsuchenden entweder für 24 Stunden auf die Strasse werfen oder in ein «besonderes Zentrum» stecken.

«Besondere Zentren» sind andere, schlimmere Inseln im Archipel Sommaruga. Sie gleichen Gefängnissen etwas mehr, denn alle, die in «besondere Zentren» geschickt werden, werden ein- oder ausgegrenzt. Sie dürfen ein bestimmtes Gebiet (wo es Anwält* innen, Freund*innen oder Unterstützung geben könnte) nicht betreten oder ein bestimmtes Gebiet nicht verlassen.

Die Bundeszentren hat man eingerichtet, um das Asylverfahren zu einer Art Schnellgericht zu machen. Die Geflüchteten stehen immer zur Verfügung, die Rechtshilfe ist gleich vor Ort und teilt sich mit den Asylablehnungsbeamten des Bundesamts den Kaffeeautomaten. Die rechtschaffenen Leute der Rechtshilfe sollen die Geflohenen nicht nur über ihre Rechte beraten, sondern denen, die keine Chance haben, gleich von Anfang an sagen, was Sache ist. Wer Pech, eine*n schlechte*n Anwält*in oder schlechte Papiere hat, schon einmal in Europa ein Asylgesuch gestellt hat, traumatisiert oder psychisch krank ist und deshalb nicht reden kann oder aus dem falschen Land kommt, wird auf die nächste Insel verschoben: Das «Ausreisezentrum». Ein solches gibt es zum Beispiel in Embrach, bezeichnenderweise ganz in der Nähe von Flughafen und Zollfreilager. Wer kann, haut ab – und wird dann im Fahndungssystem Ripol europaweit ausgeschrieben. Das «Ausreisezentrum» ist die Vorstufe zur Hölle des Ausschaffungsgefängnisses in Kloten. Alles in allem plant der Bund exakt 5000 Plätze in den Bundesasylzentren, «besonderen Zentren» und «Ausreisezentren» .

Bunker, Lager, Heime

Die Bundesasylzentren der unterschiedlichen Unterdrückungsgrade sind lediglich die neueren Inseln im Archipel. Zu den älteren gehören zum Beispiel die Zürcher «NUK», die «Notunterkünfte». Not haben nicht etwa die Kantone, die sie einrichten, sondern die Menschen, die in den «NUK» leben und diese aushalten müssen. Es sind abgewiesene Asylsuchende, die ausreisen sollten, aber nicht können oder wollen. Alleine im Kanton Zürich werden etwa 300 Menschen in «NUK» untergebracht. Sie bekommen zu wenig Geld zum Leben und zu viel zum Sterben: 8.50 Franken pro Tag. Die Bedingungen sind miserabel. Die «NUK»-Bewohner*innen leben zusammengepfercht in Bunkern oder Baracken. Viele von ihnen sind krank, der Arztbesuch vom Goodwill der privaten Firma ORS abhängig.


Aus den Augen, aus dem Sinn – Eingang der NUK in Urdorf (ZH)

Sogenannte «Notunterkünfte» gibt es auch in anderen Kantonen. In manchen der «NUK» leben auch Kinder. Im reichen Kanton Schwyz müssen die Geflüchteten die «Notunterkünfte» tagsüber verlassen – auch im Winter. Um ins (warme) Gefängnis fliehen zu können, haben sich Flüchtende im Herbst 2018 beim Ladendiebstahl erwischen lassen. Das kantonale Amt für Migration liess sich von der Presse dann dafür feiern, dass man die Gefängnisstrafe extra auf das Frühjahr verlegte. Zahlen darüber, wie viele Menschen in diesen «NUK» leben müssen, lassen sich nicht finden. Extrapoliert man die Zahlen des Kantons Zürich kommt man auf über 1000. Dazu kommt eine Vielzahl von kantonal geführten Heimen, wobei manche eher als elende, abgelegene Löcher bezeichnet werden müssen.

Notunterkünfte (NUK) für abgewiesene Geflüchtete im Kanton Zürich: Trostlose Orte im Niemandsland widerspiegeln die Situation der Menschen, die dort leben müssen.

Zellen, immer mehr Zellen!

Endstationen der Reise durch das Archipel Sommaruga sind die Gefängnisse. Das Asylgesetz kennt eine ganze Reihe von Gründen, um Menschen, die nichts verbrochen haben, in Gefängnisse zu stecken. Es gibt die «Vorbereitungshaft», die «Ausschaffungshaft» und die «Durchsetzungshaft». Insgesamt können die Behörden jemanden, von dem sie glauben, dass er oder sie nicht genügend kooperiert, total 18 Monate im Knast behalten. Das Gesetz ist milde: Jugendliche zwischen 15 und 18 Jahren könnten maximal «nur» in Administrativhaft gesperrt werden. Reicht das nicht, kann man die Menschen einfach immer wieder mal wegen «Verstoss gegen das AuG» (Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer) zu Gefängnisstrafen verurteilen.

Wie gross ist die Insel Administrativhaft im Archipel Sommaruga? Zürich hat im fluglärm-geplagten Auschaffungsgefängnis Kloten 106 Plätze, Luzern im Wauwilermoos 16, im Bässlergut in Basel sind es 30. Es war 2018 gut belegt. In der Schweiz gab es 2018 ungefähr 400 Plätze für Administrativhaft, bald sollen es 720 sein.

Manche Kantone sperren Administrativgefangene auch in normalen Gefängnissen ein. Das wäre eigentlich illegal, denn die Opfer sind ja nicht verurteilt und sollten besser behandelt werden. Das kümmert allerdings niemanden – seit vielen Jahren. Wärs das jetzt, mit dem Archipel Sommaruga? Leider nein. In «Krisenzeiten», also wenn sich Menschen in die Schweiz retten müssen und entsprechend viele von ihnen zwecks Abschreckung in Zellen gesteckt werden, benutzen die Behörden dazu auch die Polizeigefängisse. Dies wurde in Zürich in den 90er-Jahren massenhaft so gemacht und wird es auch heute noch: Zum Beispiel im Neubau des «Polizei- und Justizzentrums» mit seinen 300 geplanten Gefängniszellen.